Eine von Vielen
Foto: Privat
Untermieter bei den Saatkrähen
Die seltenen Saatkrähen stehen unter Schutz. Dennoch sind sie für viele ein Ärgernis. Nicht so für Familie Harland. Mitten in Sande erstreckt sich der blumenreiche, weitgehend naturbelassene Pastorengarten über 8000 Quadratmeter. In den hohen Bäumen darin nisten etwa seit dem Jahr 1985 Saatkrähen. Darunter, in der schönen alten Pastorei, wohnen Frauke und Thorsten Harland mit ihren Kindern Anneke und Fynn Ole seit acht Jahren bei den Saatkrähen zur Untermiete.
Als man das Haus 1998 bezog, war Anneke gerade unterwegs. In dieser Situation erschienen dem jungen Ehepaar die schwarzen Vögel zunächst befremdlich. Doch schon nach einigen Wochen im Vorfrühling änderte sich die Einstellung zu ihren Nachbarn in den Baumwipfeln. Frauke Harland, die sich schon im Studium mit Rabenvögeln befasst hat, erkannte Parallelen zwischen ihrem Leben und dem der Saatkrähen: „Sie bereiten sich auf die Brut vor – und wir uns aufs Baby. Wir richten unsere Wohnung ein, sie bauen ihre Nester.“
Die Gemeinsamkeiten sorgten fortan für ein gutes Zusammenleben. Ihre Familie wurde in all den Jahren nie von den an sich scheuen Tieren belästigt, beteuern die Harlands. Völlig abwegig seien die manchmal vorgebrachten Beschwerden über Angriffe auf Menschen. Das im Frühjahr temperamentvoll und auch lauter ablaufende Nestbau- und Balzverhalten der Saatkrähen wird oft als bedrohlich empfunden.
Pastor Thorsten Harland klatscht nie in die Hände, um die Vögel aufzuscheuchen. Denn wenn man das tut, weiß er, lassen die aufgeschreckten Vögel „etwas fallen“. Daher hat er auch noch nie „etwas“ abbekommen. So wie man sich an den Verkehrslärm gewöhnt, hört die Familie das mehrstimmige Krächzen bis zum Ende der Brutzeit kaum noch.
Durch die Beobachtung der Brutkolonisten wurde Thorsten Harland klar, dass sozial lebend nicht immer friedliches Nebeneinander bedeutet: Saatkrähen sind sehr auf das kleine Gebiet um ihr Nest bedacht. Die Pärchen greifen jeden Eindringling an und vertreiben ihn lautstark. Sie stehlen aber auch Halme und Zweige aus dem Nachbarnest. Reinster ‚Slapstick’ sei es zu erleben, wenn ein Vogel einen riesigen Ast durch das Geäst hin zum Nest manövriert. Heruntergefallene Äste werden nicht wiedergeholt. Beim Balzen krächzt und verbeugt sich das Männchen vor dem Weibchen und füttert es. Das tut es auch, wenn das Weibchen brütet.
Thorsten Harland hat großes Verständnis hinsichtlich der Verschmutzung von Gräbern durch Saatkrähen. Einige Probleme konnte aber inzwischen durch das Abholzen von Birken gelöst werden.
Der Singvogelbestand im Pastorengarten ist vielfältig und bleibt konstant. Hier geht keine Gefahr von Saatkrähen aus, da sie bei der Nahrungssuche darauf spezialisiert sind, knapp unter der Oberfläche des weichen Bodens Keimlinge von Pflanzen und Körnen sowie Regenwürmer, Insekten und manchmal sogar Mäuse herauszuziehen.
Die Saatkrähe ist am grauen, nackten Schnabelgrund zu erkennen. Sie sollte nicht mit der ihr sehr ähnlichen Rabenkrähe, die manchmal nestjunge Vögel, Eier und auch Aas frißt, verwechselt werden. Diese hat eine befiederte Schnabelwurzel. Saatkrähen bilden nach der Brutzeit mit Rabenkrähen Schlafgemeinschaften.
Ein grandioses Naturschauspiel, das man ab Juli/August abends am Sander See beobachten kann. Dort begeben sich die Vögel – nicht ganz leise übrigens – zur Ruhe auf den Hochspannungsleitungen.
Familie Harland hat viele
Gemeinsamkeiten mit den Vögeln entdeckt
Ausbrecherkönig "Rabbi"
Rabenvogel mit Einsichtsverhalten – neue Bleibe wird gesucht
„Rabbi“ ist kein Rabenvogel wie (fast) jeder andere, denn neben der, der eines Hundes ähnelnden Kommunikationsfähigkeit besitzt er zudem auch noch technische Fähigkeiten.
Diese verdankt er seinem Versuchs- oder Irrtumsverhalten, das auch schon Einsichtsverhalten sein könnte, welches über dem Nachahmungsverhalten rangiert, wie Franz Dreidax erklärte. Dieses Lernverhalten ist neu an dem im März geschlüpften Tier, das sich durch Besuche in Supermärkten und Zutraulichkeit in Sande einen hohen Bekanntheitsgrad erworben hat, aber in einigen Geschäften als Störenfried empfunden wurde. Deshalb sind jetzt nur noch Sonntagsausflüge erlaubt.
In der heimischen Voliere bei Familie Dreidax in Sande hat der "Liebling der Familie" genau beobachtet, wie er in die große Freiheit gelangen kann.
„Rabbi“ hatte schnell den Bogen raus: durch die Maschen des Drahtes den Riegel beiseite schieben und danach die Tür mit dem Kopf aufstoßen. Diese Technik hat er so rationalisiert, dass häufig ein Schlag genügt. Zunächst waren Nachbarn verdächtigt worden, der Saatkrähe den Ausflug ermöglicht zu haben, doch dann kam deren Begabung ans Tageslicht.
Die Biologiestudentin Mareike Dreidax hatte „Rabbi“ im März gefunden, nachdem er aus dem Nest gefallen war. Sie nahm das Tier mit nach Hause, wo es sich erfreulich entwickelte und Geselligkeit demonstrierte, die man sonst in großen Kolonien lebenden Saatkrähen nachsagt. „Sie haben sogar eine eigene Gerichtsbarkeit und ein ausgefeiltes Sozialsystem“, weiß Familienvater Dredax. Er sucht für „Rabbi“, dessen Gefieder in fast allen Regenbogenfarben glänzt, eine neue Bleibe. Gedacht wird an einen Zoo oder Vogelpark.
Sandes freundlichster Rabe
Junges Tier sieht Menschen als Artgenossen an – aus Nest gefallen
Erst war sie ein Häufchen Elend, mittlerweile aber avanciert sie zum Diplomaten. Die Saatkrähe „Rabbi“ erobert derzeit in Sande die Herzen der Bewohner – und das, obwohl man in dem Ort nicht allzu gut auf die Rabenvögel zu sprechen ist. Die Biologiestudentin Mareike Dreidax hat den jungen Raben mehr tot als lebendig gefunden, nachdem er aus dem Nest gefallen war. Sie nahm das Tier mit nach Hause, und so verbrachte „Rabbi“ die ersten Wochen seines Lebens in einer Oldenburger Studentenbude.
Da machte das intelligente Tier aber bald zu viel Unordnung, und so wurde er zu den Eltern der Studentin nach Sande umgesiedelt. Gefüttert wurde er mit Katzenfutter – und das schmeckte ihm immer noch besser als Regenwürmer oder ähnliches. Manchmal geht Franz Dreidax mit ihm in den Garten und gräbt ihm Würmer aus, damit er das Würmerpicken lernt. „Doch er versteckt sie nur“, erzählt er. Da junge Raben viel durch Nachahmung lernen, hält „Rabbi“ nun die Fütterung mit Katzenfutter für normales Fressverhalten. Ihn auf Saatkrähenverhalten umzuerziehen ist vielleicht schon zu spät. Damit ist auch wohl nicht mehr möglich, den Raben in die Saatkrähenkolonie im Pastorengarten einzugliedern. „Er betrachtet die Menschen als seine Artgenossen“, vermutet Franz Dreidax. So ist also die Gemeinde Sande nun zu einem rabenschwarzen Neubürger gekommen.
Dieser treibt sich den ganzen Tag auf den Straßen und Plätzen der Gemeinde herum und kommuniziert mit den Zweibeinern, die er für seinesgleichen hält. Kürzlich wurde er gesehen, wie er neugierig in die Farbtöpfe des Künstlers Buko Königshoff spähte, als dieser am Wandgemälde der Birkenapotheke arbeitete.
Franz Dreidax und Tochter Mareike freuen sich, dass der menschenliebende Rabe es nun aber schafft, die feindselige Einstellung der Bürger zu den Saatkrähen zu verändern. Eigentlich sind viele Sander von den Saatkrähen am Nordwest-Krankenhaus und an der Kirche genervt. Sie finden die Geräuschkulisse unerträglich oder halten Saatkrähen für Lämmermörder (zu Unrecht allerdings, die Aasfresser machen sich höchstens an toten Tieren zu schaffen). Doch nun begegnet ihnen der Rabe als freundliches und kluges Gegenüber.
Für den Sander Friedhof hat Mareike Dreidax jedoch eine Idee entwickelt, die das ärgerliche Kotproblem lösen könnte. Wenn man die Birken, in denen die Saatkrähen nisten, im Herbst einfach um die Hälfte kürzt, wären die Bäume für die Krähen uninteressant. Die Krähen würden wegbleiben und die Birken wieder austreiben.
Franz Dreidax