Zeichnung mit drei Weißwangengänsen

Weißwangengans: Reiseziel Dangast

Von der sibirischen Eismeerküste nach Dangast - so heißt die Flugroute für etwa 8000 Weißwangen- oder Nonnengänse.

Alljährlich erscheinen im Oktober über dem Jadebusen in lockeren Formationen große Schwärme heiser rufender, spitzflügeliger Gänse und nehmen zielstrebig Kurs auf Dangast. Dort fallen die erstaunlich standorttreuen Vögel neben dem Dangaster Tief in Weideflächen ein, die schon von einer Gänse-Generation im Jahre 1990 als Winterrastplatz ausfindig gemacht wurden.

Die nun auf den grünen Weiden äsenden schwarzweißen Gänse heben sich kontrastreich von ihrem Umfeld ab. Auch umgeben sich die stimmfreudigen Weißwangengänse mit einer weithin hörbaren Gänse-Geräuschkulisse.

Weißwangengänse in großer Zahl

Foto: Rolf Nagel

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Der Aufbruch aller Gänse bei beginnender Dunkelheit und ihr niedriger Flug in vielen kleinen Schwärmen über den Deich von Petershörn (Gemeinde Bockhorn) nach Dangast ins nahe Wattenmeer ist ein bewegendes Naturschauspiel. Im Watt und in den Salzwiesen sind sie vor Bodenfeinden sicher und können dort auch tierische Nahrung aufnehmen. Bei Flut schlafen sie schwimmend auf dem Wasser. Eindrucksvoll ist auch ihre Rückkehr im Morgengrauen oder bei Sonnenaufgang zu den Weideplätzen.

Ende April ziehen die Gänse wieder an die sibirischen Felsenküsten, um in kleinen Kolonien hoch auf Felsenvorsprüngen und Klippen, die für Eisfüchse unzugänglich sind, in einer mit Pflanzenteilen und Dunen ausgelegten Brutmulde drei bis fünf Eier auszubrüten. Das Brutgeschäft besorgt die Gans allein. Der Ganter wacht währenddessen in der Nähe des Nestes.

Alle Küken schlüpfen nach etwa 23 Tagen am gleichen Tag und springen sogleich aus dem Nest ins Ungewisse. Die meisten Dunenbällchen fallen dabei unversehrt ins Wasser und werden von den Eltern gesammelt, einige jedoch bleiben in den Felsenspalten hängen und verenden.

Nach der Mauser der Altvögel sind auch die jungen Gänse flügge.

Im Gegensatz zu vielen Zugvogelarten, die instinktiv ihre Zugwege finden, müssen die jungen Gänse ihre Flugrouten erst noch erlernen. Den nötigen Unterricht dafür erhalten sie im Schwarmflug zu den Rast- und Brutplätzen. Da Weißwangengänse ihr ganzes Leben an Meeresküsten verbringen, zählt man sie zu den Meeresgänsen. Mit ihrer Größe von 69 Zentimetern gehören die filigranen Vögel zu den mittelgroßen Gänsen. Beide Geschlechter sind farbgleich.

Weißwangengänse werden auch als Nonnengänse bezeichnet, da ihr schwarzes Hals- und Brustgefieder, die schwarze Kappe und das weiße Gesicht an eine Nonne in ihrer Tracht erinnert.

 

Die Nonnengans (Weißwangengans) ist eine Art der Gattung der Meergänse in der Familie der Entenvögel. Es gibt keine Unterarten, jedoch drei getrennte Populationen. Sie brüten in Russland, auf Grönland und Spitzbergen. Die Nonnengans ist mit 58 bis 69 Zentimetern eine mittelgroße Gans. Sie legt vier bis sechs Eier. Die Küken schlüpfen nach 24 bis 25 Tagen. Die Aufzucht dauert 40 bis 45 Tage. Die Nonnengänse sind gesellig. Sie schließen sich oft anderen Gänsen an.

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Nonnengänse mit Freude und Sorge empfangen

Zur Begrüßung formieren sich die aus ihren Brutgebieten auf Inseln im Nordpolarmeer über die Ostsee zurückkehrenden Nonnen- oder Weißwangengänse zu großartigen Flugbildern über Dangast.

Und wenn sich abends der große Schwarm vielstimmig aus den Salzwiesen oder Weiden am Dangaster Tief erhebt, um zur Übernachtung ins nahe Wattenmeer zu fliegen, sind die Beobachter von dem faszinierenden Schauspiel tief beeindruckt und über den hier noch erlebbaren Reichtum der Natur erstaunt.

Flugformation der Nonnengänse

Flugformation von Nonnengänsen über Petershörn (Foto: Torsten Friesecke)

Die schwarz, grau und weiß gefärbten Nonnengänse sind ans nahe Meer gebunden und kehren schon seit 1991 an den für sie ideal gelegenen Rastplatz zurück.

Die Besitzer und Pächter der umliegenden Ländereien befürchten aber durch Gänsefraß eine Beeinträchtigung ihrer Ernten. Im Vorjahr versuchten sie, die Gänse mit Knallapparaten zu verscheuchen. Doch nicht nur Nonnengänse leiden unter den Schreckschüssen, sondern auch viele andere geschützte und selten gewordene Vögel werden dadurch ebenfalls von ihrem Rastplatz vertrieben.

Rastende Nonnengänse

Foto: Franz Dreidax

Daher setzen sich Naturschutzverbände seit langem dafür ein, dass betroffene Landwirte nachgewiesene Schäden nicht allein tragen sollen. Die Bauern können mit der Landesregierung Verträge abschließen und Ausgleichszahlungen erhalten. Es sollte nun bald zu befriedigenden Vereinbarungen kommen, damit die Störungen auf den Vogelrastplätzen unterbleiben.

Der Wanderweg auf dem Deich von Petershörn nach Dangast erscheint für die vielen Naturfreunde wie ein idealer Lehrpfad zur Vogelbeobachtung.

Das Naturschauspiel zu beiden Seiten des Deiches, direkt am Nationalpark „Weltnaturerbe Wattenmeer“, zur Zeit des Vogelzuges ist hier einzigartig.

Franz Dreidax, 18.10.2012

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Text "Gänse ziehen jetzt gen Norden" mit einem Foto, das den Flug der Weißwangengänse zeigt

 

Weißwangengänse im Flug
 
Von Norbert Czyz, Dangast. Welches Ausmaß die Eingriffe von Menschen in das Vorkommen von Tieren haben, das wird oft erst dann ganz deutlich sichtbar, wenn die Eingriffe wieder zurückgenommen werden. Mitte des vorigen Jahrhunderts - also um 1950 - war der Bestand an Nonnengänsen so stark dezimiert, das die Art vom Aussterben bedroht war. Einer der Gründe war - neben Krankheiten und Umwelteinflüssen - die Jagd auf diese Vögel, überwiegend in den Brutgebieten im Norden Russlands. Nachdem die Nonnengans 1979 in die Vogelschutzrichtlinien aufgenommen wurde, haben sich ihre Bestände stark erholt. Allein an der niedersächsischen Wattenmeerküste dürften es mehrere Zehntausende dieser Vögel sein, die hier überwintern - zur Freude vieler Menschen. In Nordfriesland feiern sie sogar die Rückkehr der Nonnengänse aus ihren Brutgebieten eine Woche lang mit den „Nonnengans-Tagen“.
 
Weißwangengänse im Flug
 
Doch gebe es wieder Überlegungen, die Nonnengänse zu bejagen, hat Franz Dreidax aus Sande gehört, selbst Jäger - aber auch Tierfreund durch und durch. Dreidax hofft, dass es nicht dazu kommt. Er ist ebenso von diesen Vögeln fasziniert wie der Hobbyornithologe Dr. Onno Onken (71), der sich von Kindesbeinen an für die Vögel interessiert und seit Anfang der 80er Jahre bei den Vogelschützern aktiv ist. Seit Jahrzehnten beobachtet er Nonnengänse, bositzt zahlreich Dias, die Tausende dieser schwarz-weißen Vögel beim Äsen auf grünen Weiden zeigen - oder, wenn sie gemeinsam zu Tausenden auffliegen-, weil sie mal wieder gestört wurden. Neuerdings filmt er Nonnengänse. Sie zählen zu den Meergänsen. Der Name Nonnengans - sie wird auch Weißwangengans genannt - bezieht sich auf ihr Aussehen. Mit dem schwarzen Brustgefieder und der schwarzen Kopfplatte sehen sie eben aus wie Nonnen im Habitus.
 
Fotos der Vogelkundler Dreidax und Onken
 
Onken kennt die Äsungsgebiete der Nonnengänse am Dollart und in der Leybucht. Am Dollart gebe es eine Beobachtungshütte auf Stelzen, dort habe er häufig im Dunkeln gesessen und gewartet, um bei Sonnenaufgang den Anflug zigtausender Gänse zu beobachten. Onken weiß, dass die niedersächsischen Nonnengänse im Sommer auf den russischen Inseln Nowaja Semlja und Kolgujev brüten, überwiegend auf Felsenklippen, unerreichbar für den Polarfuchs - und, dass sie im Wattenmeer von Holland bis nach Nordfriesland überwintern. Nonnengänse gibt es auch noch in England. Sie brüten aber nicht in Sibirien, sondern auf Spitzbergen und Grönland. Das nächste Winterquartier liegt, von Wilhelmshaven aus gesehen, praktisch um die Ecke. Auf einer Wiese hinter dem Dangaster Deich sind sie seit Anfang Oktober - zum wiederholten Male - zu beobachten. Ein kaum übersehbares Heer friedlich grasender Vögel, die nachts ins Wattenmeer zurückkehren, um dort ungestört schlafen zu können. Und das können sie auch schwimmend auf dem Wasser. Morgens kehren sie dann wieder auf ihre Weiden zurück.
 
Mitte Oktober 2007, kurz nach nach Sonnenaufgang, fuhren Dreidax, Dr. Onken und der Hobbyfotograf Bernd Hen hinaus zum Dangastersiel, um die Nonnengänse zu beobachten, wenn sie von ihren Schlafplätzen kommen. In zeitlich kurzen Abständen wurden sie von Schwärmen von Gänsen überflogen. Ein erhebendes Gefühl, wenn diese Vögel in rund 100 Meter Höhe in ungeordneter Formation - "gäk-gäk-gäk" rufend - einschweben, mit einer Dynamik wie ein Düsenjet beim Anflug auf einem Flughafen. Damals schätzte Franz Dreidax die Zahl der Nonnengänse am Jadebusen auf rund 2000 Vögel; vor wenigen Tagen glaubte er, 6000 gezählt zu haben. Im Oktober 2006 filmte Dr. Onken hier sogar 10000 Nonnengänse. Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres bleiben die Nonnengänse bis Ende Mai bei Dangast und können - das war auch im vergangenen Jahr der Fall - selbst vom Seedeich aus beobachtet werden.
 
Nonnengänse: äsend
 
Dr. Onken erzählt, dass sich diese Gänseregion seit 1990 entwickelt hat. Hier hätten auch die Blässgänse ihr Revier wiederentdeckt.
Im Gegensatz zu vielen Singvogelarten sind ihre Flugrouten genetisch nicht festgelegt, ihre Winterquartiere auch nicht. Sie werden von Generation zu Generation weiterzugegeben beziehungsweise müssen von den Jungvögeln neu erlernt werden. Weshalb es - so Franz Dreidax - erfolgreiche Versuche gegeben hat, den Gänsen mittels Ultraleichtfliegern neue Routen anzulernen, wo dies sinnvoll erscheint. Zum Beispiel bei Zwerggänsen. So ungefährdet das Leben der Nonnengänse derzeit im Wattenmeer auch erscheint, die ersten Stunden nach dem Schlüpfen sind eine halsbrecherische Angelegenheit. Dr. Onken erzählt, dass die Jungen zu achtzig Prozent am gleichen Tag schlüpfen und sich dann vom Felsen ins tiefe Wasser stürzen. Ein wagemutiges Unterfangen, das oft schief geht, weil mancher Jungvogel zwischen den Klippen statt im Wasser landet. Leichter hätten es die Jungen, deren Eltern auf Flachgebieten brüteten, sagt Dr. Onken.
 
Nach dem Schlüpfen des Nachwuchses kommen die Altvögel in die Mauser. Rechtzeitig zum Abflug ins Winterquartier sind die Schwungfedern wieder nachgewachsen. Dann sind auch die Jungvögel in der Lage, die Reise in den Süden anzutreten. Mittlerweile sind andernorts die Nonnengänse und andere Wildgänse zum touristischen Ereignis geworden. So bietet der NABU von November bis März in Ostfriesland Busexkursionen zu den Wildgänsen am Dollart an. Und im Januar und Februar gibt es dort sogar ab Sonnenaufgang die Möglichkeit, beim „Frühstück mit den Wildgänsen“ den morgendlichen Einflug zu erleben. Bei Dangast wäre das auch möglich.
 
Nonnengänse am Strand

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